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Donnerstag, 10. Mai 2012

Justizunrecht im Kalten Krieg


Hätte dieser Prozeß vor einem Gericht der DDR stattgefunden, die Öffentlichkeit wäre mit gruseliger Berichterstattung über einen «typisch kommunistischen Schauprozeß« auf die Straße getrieben worden. So aber ... So aber fand das Verfahren unter weitgehender Nichtbeachtung durch die bundesdeutschen Medien statt, und wer sich heute um Einsicht in die betreffenden Justizakten bemüht, wird amtlich informiert, daß sie «nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet« worden sind.
Aus der Versenkung der so lupenreinen Vergangenheit der freiheitlich-demo­krati­schen Grundordnung hat Friedrich-Martin Balzer das Verfahren mit dem Band «Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß 1959/60« verdienstvollerweise in Erinnerung geholt. Für diesen Prozeß vom 10. November 1959 bis zum 8. April 1960, dem Tag der Urteilsverkündung gegen sechs Mitglieder des Friedenskomitees der Bundesrepublik, wurde der auf Grundlage des «Blitzgesetzes« von 1951 auch beim Düsseldorfer Oberlandesgericht gebildeten Politischen Sonderstrafkammer ein eigenes Gericht beigeordnet. «Der bedeutungsvollste politische Strafprozeß seit Bestehen der Bundesrepublik wurde somit von einer Sonderkammer der Düsseldorfer Sonderstrafkammer verhandelt«, beschreibt Diether Posser, der in diesem Verfahren als Verteidiger mitgewirkt hat, den einmaligen Vorgang. Der Spiegel schrieb 1961 vom «bislang ungewöhnlichsten politischen Strafprozeß«, der «das Elend der politischen Justiz im liberalen Rechtsstaat erhelle«.
Der Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation« beschuldigt wurden in einer nach sieben Jahren dauernden Ermittlung fertiggestellten und 243 Seiten umfassenden Anklageschrift: Pastor Johannes Oberhof, Freiwilliger im Zweiten Weltkrieg, Erwin Eckert, von der evangelischen Kirche nach seinem Eintritt in die KPD seines Pfarramtes enthoben, wegen Widerstand gegen den Faschismus 1936 zu drei Jahren und acht Monate Zuchthaus verurteilt, Walter Diehl, Sprachwissenschaftler, gläubiger Christ, Gerhard Wohlrath, Kommunist, 1933 der Festnahme durch Emigration entkommen, Mitglied der Internationalen Brigaden im spanischen Freiheitskampf, Gustav Thiefes und Erich Kompalla, beide Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg, Kompalla in den Reihen der Waffen-SS, beide zu Kriegsgegnern geworden.
Diese sieben also, vier Kommunisten darunter, waren angeklagt, im am 5. Mai 1949 in Bonn gegründeten Friedenskomitee der BRD als Rädelsführer gewirkt und versucht zu haben, durch Schriften, Reden u. a. gegen die Wiederaufrüstung, für einen Friedensvertrag und Verhandlungen mit der DDR und der Sowjetunion, auch durch die Teilnahme an internationalen Kongressen der Friedensbewegung beabsichtigt zu haben, die verfassungsmäßige Grundordnung der BRD zu beseitigen, außer Geltung zu setzen... Der UNO hätten sie den Garaus machen wollen.
Die Angeklagten und ihre vier Verteidiger, Diether Posser, Heinrich Hannover, Walther Ammann und Friedrich-Karl Kaul, sowie der Reporter der DDR-Zeitung Wochenpost, Rudolf Hirsch, kommen in Balzers Band zu Wort. Jeder betrachtet unter einem speziellen Gesichtspunkt den Verlauf dieses Verfahrens. Diether Posser spricht von den «das Gesinnungsrecht offen praktizierenden Begründungen«, mit denen das Gericht in Serie das Vorbringen von Anträgen und Dokumenten der Beschuldigten ablehnte. Heinrich Hannover erinnert sich, wie seinem Kollegen Posser darob vor dem Gericht der Kragen platzte:
«Wenn Sie alle unsere Beweisanträge zurückweisen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandanten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, statt uns Anwälte als rechtsstaatliches Dekor zu mißbrauchen.«
Bei Walther Ammann, der schon als Verteidiger vor faschistischen Sondergerichten gewirkt hatte, verursachte der vom Gericht eingeführte Begriff von der «offenkundigen Wahrheit« der Regierungspolitik, die damit unangreifbar ist, „einen bitteren Geschmack auf der Zunge, weil sich die Parallele zu einer gewissen Spruchpraxis des Dritten Reiches abzuzeichnen schien“.
…Der Sinn des Prozesses? «Außerdem muß ich die Angeklagten, deren Strafe ausgesetzt ist, darüber belehren, daß bei einer Aussetzung davon ausgegangen ist, daß sie sich in Zukunft ruhig verhalten.«
Das Buch ist ein eindringliches Plädoyer für die überfällige Rehabilitierung der noch lebenden Opfer der politischen Justiz in der Bundesrepublik jener Jahre. Es sollte zur Pflichtlektüre für angehende Juristen und all diejenigen werden, deren geschichtsbetrachtender Blickwinkel für die Jahre 1945 bis 1998 einzig auf das Stück Deutschland zwischen Elbe und Oder begrenzt ist.

Hans Daniel in: Junge Welt vom 27.03.2006, Feuilleton, Seite 15

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