Dieses Blog durchsuchen

Montag, 2. April 2012

Die Politik der Berufsverbote war und ist verfassungswidrig

Eindrucksvolle Veranstaltung der GEW in Göttingen - Hauptvorstand fordert Rehabilitierung
In der Veranstaltung "40 Jahre Radikalenerlass" am 17. 3. in Göttingen bewertete Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW, den neuen Antrag des Hauptvorstandes gegen die Berufsverbote (s. unten) als "überfällig". Er sah in dem Antrag und im Veranstaltungsablauf in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule einen "notwendigen Auftakt" auch zur Aufarbeitung der innergewerkschaftlichen Orientierung. Insgesamt solle das Jahr 2012, so Ulrich Thöne, für weitere Veranstaltungen mit "Zeitzeugen" genutzt werden, um auf die Auswirkungen der Berufsverbote aufmerksam zu machen. Nie zuvor seien bei einer Gewerkschaftstagung derart viele vom Berufsverbot Betroffene versammelt gewesen wie bei dieser Veranstaltung, betonte eine Kollegin am Ende der Konferenz. Am 14. Juni soll in Berlin die von mittlerweile 230 Betroffenen unterzeichnete Protestresolution an Bundeskanzlerin Merkel übergeben werden. Im Vorfeld findet am 5. Mai eine zentrale größere Veranstaltung in Frankfurt statt, zu der 200 Teilnehmer/innen erwartet werden. Die Initiative der Betroffenen entwickelte seit Oktober letzten Jahres eine Eigendynamik, wie sie niemand der Initiatoren zu hoffen wagte. In verschiedenen Bundesländern der alten BRD bildeten sich kleine Betroffenen-Gruppen, um das Thema der Berufsverbote in die öffentliche Diskussion zu bringen. Es gelang, das Thema Berufsverbote aus dem Verschweigen, Verdrängen und Vergessen herauszuholen.
In Bremen hat der Senat die Ausführungsbestimmungen des Bundeslandes zum Ministerpräsidentenbeschluss gestrichen und sucht nach einem "ideellen Abschluss" der Berufsverbotspraxis. In Niedersachsen führte ein Antrag der Linkspartei zu einer Landtagsdebatte, die auf die Frage der Rehabilitierung fokussierte. Nun hat der Innenausschuss die Betroffenen der Region zu Stellungnahmen aufgefordert. Im Hessischen Landtag fordert ebenfalls die Partei "Die Linke" die Verurteilung der Berufsverbote als "juristisches, politisches und menschliches Unrecht", die Rehabilitierung und materielle Entschädigung der Betroffenen sowie ein Ende der Bespitzelung und die Abschaffung der Geheimdienste.
Frank Behrens, GEW Bremerhaven, schilderte während der Konferenz am eigenen Beispiel die ungeheuerliche Bespitzelungspraxis und die Willkür der Schulbehörde. Zahlreiche Kollegen/innen ergänzten diese Darstellung mit ihren eigenen düsteren Erfahrungen. Berthold Goergens wies auf den Zusammenhang seines Berufsverbots mit den NATO-Sicherheitskriterien hin, die heute immer noch gelten. Matthias Wietzer betonte die z. T. extreme Renten- bzw. Pensionsbenachteiligung. So beschränke sich sein Pensionsanspruch auf 53,88 Prozent, Hubert Brieden aus Neustadt/Hannover - nie in den Schuldienst übernommen - habe sogar nur mit 540 Euro Rente zu rechnen. Ein Kollege nannte die Auswirkungen der Berufsverbote als ein Beispiel für Altersarmut, die einen gewerkschaftlichen Nothilfefonds nahelege. Zitate aus den Anhörprotokollen demonstrierten die Dimension der staatlich verordneten Gesinnungsschnüffelei. Wer waren die verdeckten Informanten? fragten die Betroffenen. In einem Reader sollen besonders ungeheuerlich anmutende Anhörungssequenzen in Kürze ins Internet auf die Seite www.berufsverbote.de gestellt werden.
Hartmut Tölle, Vorsitzender des DGB-Bezirks Nieder-sachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt reflektierte selbstkritisch die Ver-strickung auch der Gewerkschaften in die Berufsverbotspraxis: Der "vernetzte Ungeist" sei in der Republik auch heute aktiv. Er erinnerte an Parteiordnungs- und Parteiausschlussverfahren, die wegen einer Unterschrift gegen die Berufsverbote eingeleitet worden seien. Nicht selten seien den Gewerkschaftsausschlüssen auf der Grundlage des Unvereinbarkeitsbeschlusses die Berufsverbotsverfahren gefolgt. DGB und mit ihr die GEW seien gewerkschaftspolitisch verpflichtet, sich des Themas der Berufsverbote mit neuer Energie anzunehmen.
Die Schauspielerinnen Rosa Jansen und Katharina Schenk, Berlin, komprimierten die Verfolgungsparanoia eindrucksvoll in einer Lesung zu "Gesinnungsschnüffelei und Hexenjagd".
Eine zeithistorische Einordnung lieferte Prof. Dr. Wolfgang Wippermann von der FU Berlin. Die Berufsverbote seien Teil einer nicht bewältigten Zeitgeschichte der BRD und des DGB. Es sei nach 1989 eine Ausdehnung der Praxis auf Bürger/innen der ehemaligen DDR erfolgt. In der Politik kursiere bereits der Slogan, alle Bürger/innen sollten "gegauckt" werden. Kritisch setzte sich Wippermann mit Totalitarismus- und Extremismus-Theorien auseinander und bezeichnete sie als pure Ideologie ohne empirische Beweisbarkeit. Sie seien wissenschaftlicher "Schwachsinn". Berufsverbote verbieten die Radikalität des Denkens, seien mithin extrem antidemokratisch. Demokratie und Freiheit schütze man nicht, indem man sie einschränkt.
Ulrich Thöne versprach in seinem Schlusswort, die Diskussion im DGB voranzutreiben: "Die heutige Veranstaltung ist ein Anfangs-, kein Endpunkt ... Wir bleiben dran!" Ein Schritt in die richtige Richtung sei der beschlossene Antrag des GEW-Hauptvorstandes.
Uwe Koopmann, Udo Paulus

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen