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Mittwoch, 21. November 2012

Engagement gegen Faschismus und Krieg ruft Geheimdienst auf den Plan.

Ein Gespräch mit Silvia Gingold

Interview: Markus Bernhardt
 
Das Foto zeigt Silvia Gingold und ihren Vater Peter auf dem Mann
Das Foto zeigt Silvia Gingold und ihren Vater Peter auf dem Mannheimer DKP-Parteitag 1978
Silvia Gingold lebt in Kassel. Sie ist Tochter der Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold. 1975 erhielt sie wegen Mitgliedschaft in der DKP Berufsverbot. 1976 kam es zur Wiedereinstellung als Angestellte aufgrund starken öffentlichen Drucks. Silvia Gingold ist heute im Kasseler Friedensforum und in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) aktiv.
Sie haben jüngst in Erfahrung zu bringen versucht, welche Informationen das Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen über Sie gespeichert hat. Wie zufrieden sind Sie mit der Antwort?
Die Auskunft, daß ich seit dem Jahre 2009 im Bereich Linksextremismus« gespeichert bin, empört mich natürlich. Nach meinen Erfahrungen mit dieser Behörde, die seit meinem 17. Lebensjahr Erkenntnisse über mich gesammelt hat, die schließlich zu meinem Berufsverbot in den 1970er Jahren führten, bin ich allerdings nicht überrascht. Was mich verwundert, ist jedoch der angegebene Zeitraum, denn ich engagiere mich ja nicht erst seit 2009 gegen Faschismus und Krieg. Deshalb glaube ich, daß hier noch sehr viel mehr »Erkenntnisse« aus Bespitzelungen gehortet sind, die mir aber nicht offengelegt werden. 
 
Der Geheimdienst wirft Ihnen unter anderem vor, im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung aus der Autobiographie Ihres Vaters Peter Gingold vorgelesen zu haben.
Dieser Vorwurf hat mich besonders tief empört und macht mich wütend. Das Anliegen meines Vaters war es, seine Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstandskampf den nachfolgenden Generationen nahezubringen und sie zu ermutigen, gegen Nazi-Ideologie, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus aktiv zu werden. Als Zeitzeuge appellierte er besonders an Jugendliche sich einzumischen, »damit ihr nicht das, was wir damals riskieren mußten, morgen riskieren müßt«.

Wenn ich aus dem Buch meines Vaters lese, tue ich dies aus der tiefen Überzeugung, daß es unerläßlich ist, die wertvollen Erinnerungen der Widerstandskämpfer, deren unermüdliche Warnungen vor der Gefahr von rechts weiterzutragen und ihre Erfahrungen in unseren heutigen Kampf gegen Neofaschismus und Krieg einzubeziehen. Wenn dies linksextremistisch ist, wie es der Verfassungsschutz« einordnet, so bin ich gerne linksextrem. 
 
Der Verfassungsschutz behauptet außerdem, daß Berichte über Ihre Person aus den Jahren zwischen 1974 und 1977 – damals waren Sie Opfer der Berufsverbote in Westdeutschland – nicht mehr vorlägen. Für wie glaubwürdig halten Sie diese Darstellung?
Wie schon erwähnt, glaube ich nicht, daß erst Daten seit 2009 über mich gespeichert worden sind. Meine Eltern wurden als Kommunisten und Mitglieder der verbotenen KPD schon bespitzelt und überwacht, als ich noch ein Kind war. Wie wir später erfuhren, verdiente sich ein Rentner, der gegenüber von unserem Wohnhaus in Frankfurt am Main wohnte, ein Zubrot, indem er für den »Verfassungsschutz« unser Haus beobachtete, unsere Besucher und ihre Autokennzeichen notierte und dem Geheimdienst Bericht erstattete. Als ich mich als Jugendliche selbst politisch engagierte, wurde auch ich in die Überwachung mit einbezogen. Diese gesammelten Beobachtungen wurden mir während meiner Anhörung im Jahr 1974 vorgelegt und beinhalteten unter anderem meine Teilnahme an Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam, gegen Neonazis und Rassismus. Sie lieferten letztlich die Grundlage für ein Gerichtsurteil, das mich zur Verfassungsfeindin stempelt und aufgrund dessen ich in Hessen keine Beamtin werden konnte. Dieses Urteil aus dem Jahr 1977 ist nie aufgehoben worden. Daher habe ich große Zweifel, daß die entsprechenden Daten nicht mehr existieren. Zumindest habe ich nie eine Protokoll oder Ähnliches bekommen, das mir einen Nachweis über deren Vernichtung erbracht hätte. 
 
Während die hessischen Schlapphüte – Stichwort »Kleiner Adolf« – ganz offensichtlich in den Terror des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) verstrickt sind, überwacht die Behörde weiterhin maßgeblich die politische Linke. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?
Es ist ein Skandal, daß der damalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes und V-Mann-Führer Andreas Temme, der sich nachweislich kurz vor der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel am Tatort aufgehalten hatte und somit in den Kreis der Verdächtigen gehört, nun in der Behörde meines ehemaligen Arbeitgebers im öffentlichen Dienst, dem Regierungspräsidium Kassel, arbeitet. Dies, obwohl seine Gesinnung bekannt ist und sogar Waffen bei ihm gefunden wurden. Linke und Antifaschisten, die sich den Nazis in den Weg stellen, werden hingegen bespitzelt und kriminalisiert. Der hessische Landtagsabgeordnete der Linkspartei, Willi van Ooyen, wurde gar unter Strafe gestellt, weil er sich an der Blockade gegen die Neonazis in Dresden beteiligte. 
 
In den vergangenen Monaten wurde bekannt, daß sich in manchen Kreisverbänden der CDU, die in Hessen immerhin die Landesregierung stellt, Neofaschisten tummelten. Welche politische Verantwortung trägt die Landesregierung an besagten Zuständen?
Daß diese Landesregierung nur das Feindbild links kennt, kann niemanden überraschen. Hat doch Roland Koch, der Vorgänger des heutigen Ministerpräsidenten, seine Wiederwahl durch eine rassistische Wahlkampagne erreicht. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion fiel mehr durch seine rechtspopulistische Hetze in seinem Wetzlarer Anzeigenblatt auf, denn durch seine Vorschläge zur Verbesserung der Bildungspolitik. Der heutige Ministerpräsident Volker Bouffier hatte damals als Innenminister die Verantwortung für den hessischen Verfassungsschutz, als man durch den Schutz von Andreas Temme die Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat behinderte. 
 
Wie bewerten Sie den Stand der Aufarbeitung in Sachen Verstrickungen der Inlandsgeheimdienste in den braunen Terror?
Die vielen Ungereimtheiten, angeblichen Pannen«, das Verschwinden und Schreddern von Akten etc. machen deutlich, daß hier mehr vertuscht wird, als daß man an einer ernsthaften Aufklärung des braunen Terrors interessiert ist. Die immer neu und mehr zufällig ans Tageslicht gekommenen personellen Verstrickungen der V-Leute in den Neonaziterror nähren den Verdacht, daß diese Szene Rückendeckung durch den Verfassungsschutz genießt und durch ihn unterstützt wurde und wird. 
 
Halten Sie eine Demokratisierung der Verfassungsschutzbehörden, wie sie von Teilen der Linken gefordert wird, für möglich?
Von Anfang an machte sich diese Behörde die Erfahrungen früherer Mitarbeiter von SS und NS-Geheimdiensten zunutze, die lange Zeit in führenden Positionen des »Verfassungsschutzes« tätig waren. Den aus der Nazizeit hinübergeretteten Antikommunismus prägt dieses Amt heute immer noch nachhaltig.

Die Kontinuität der Verfolgung, Diskriminierung und Kriminalisierung von Linken, Antifaschisten und Kommunisten, die sich wie ein roter Faden ungebrochen durch die Geschichte der Bundesrepublik zieht, legen davon Zeugnis ab: Verfolgung und Gefängnisstrafen von Kommunisten in den 1950er Jahren, das KPD-Verbot, das Verbot antifaschistischer und Friedensorganisationen, die Bespitzelungen auf der Grundlage des Radikalenerlasses, die zu 11000 Berufsverbotsverfahren in den 1970er Jahren führten, die Überwachung und Bestrafung von Antifaschisten, die heute neonazistische Aufmärsche verhindern – alle diese Tatsachen widersprechen dem Schutz der Verfassung und sind gegen sie gerichtet. Deshalb ist dieser »Verfassungsschutz« nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich und gehört abgeschafft.
 

Auskunftsersuchen in Sachen Verfassungsschutz

Am 16. Oktober 2012 hatte sich Silvia Gingold an das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen gewandt und um »Auskunft über die über mich gespeicherten Daten« gebeten:

Sehr geehrte Damen und Herren, in den Jahren 1974 bis 1977 hatte ich ein Berufsverbotsverfahren. Im Zuge dieses Verfahrens wurden auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes verwendet und auf dessen Einschätzungen verwiesen. Ich habe also Anlaß zu der Befürchtung, daß bei Ihrer Behörde Daten über mich gespeichert sind. Da mir durch dieses Verfahren erheblicher Schaden zugefügt wurde, habe ich besonderes Interesse an einer Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten Daten.

Deshalb fordere ich Sie auf, mir mitzuteilen, ob über mich bei Ihrer Behörde Daten erhoben wurden und gespeichert sind; wenn ja möchte ich Auskunft darüber, um welche Informationen es sich handelt, aus welcher Quelle diese Informationen stammen, seit wann diese Informationen vorliegen und an wen diese Daten weitergegeben wurden. Bitte nennen Sie mir auch die Rechtsgrundlage dafür, daß Sie Daten über mich speichern.

Antwort

Am 8. November antwortete Dr. Karrenberg »im Auftrag« für das Landesamt für Verfassungs-schutz Hessen auf ein Auskunftsersuchen von Silvia Gingold:

Sehr geehrte Frau Gingold,

(…) Die von mir durchgeführte Überprüfung anhand der von lhnen gemachten personenbezogenen Angaben hat ergeben, daß Sie seit dem Jahre 2009 im Bereich Linksextremismus gespeichert sind.

Es ist hier bekannt, daß Sie am 15. Oktober 2011 im Rahmen der GegenBuchMasse im Themenspektrum Antifaschismus für die Vorstellung der Autobiographie von Peter Gingold als Referentin angekündigt waren. lhr Vortrag war innerhalb der sogenannten »Langen Lesenacht« im autonomen Szenetreff Café Exzess (vgl. Verfassungsschutzbericht 2010, S.134 und 201 1, S. 1 09 f., www.verfassungsschutz.hessen.de) vorgesehen.

Die Anti-Nazi-Koordination initiierte am 28. Januar 2012 eine Demonstration unter dem Motto »staatliche Unterstützung für Nazis beenden – Verfassungsschutz auflösen« in Frankfurt am Main. Sie wurden als Rednerin zum Thema »40 Jahre Berufsverbote in der BRD« angekündigt.

Über die hier genannten lnformationen hinaus vermag ich lhnen keine Auskünfte zu erteilen. Unter Zugrundelegung des Zwecks der Auskunftsregelung des § 18 LfV-Gesetzes muß das von lhnen geltend gemachte Auskunftsinteresse gegenüber dem öffentlichen lnteresse an der Geheimhaltung der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen zurücktreten.

Es kann heute nicht mehr festgestellt werden, ob in den Jahren 1974 bis 1977 Daten zu ihrer Person gespeichert waren. Wenn zu diesem Zeitpunkt Datenspeicherungen zu ihrer Person vorgelegen haben, sind diese zwischenzeitlich aufgrund der gesetzlichen Vorschriften gelöscht worden. Die Speicherung personenbezogener Daten erfolgt auf Grundlage des § 6 HLfV-Gesetz. Sie sind zur Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 HLfV-Gesetz erforderlich. Die Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz besteht darin, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen.

Nach § 6 Abs. 6 HLfV-Gesetz prüft das Landesamt für Verfassungsschutz spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zur Aufgabenerfüllung noch erforderlich sind. Sind sie das nicht, werden diese gelöscht. (…)

Montag, 5. November 2012

"Verboten-Verfolgt-Vergessen"-Ein Film über die Verfolgung der politischen Opposition in der Adenauerzeit

Filmstill aus " Verboten Verfolgt Vergessen"
"Verboten-Verfolgt-Vergessen"

Ein Film über die Verfolgung der politischen Opposition in der Adenauerzeit

Bereits kurz nach Ende des 2. Weltkriegs begann der "Kalte Krieg“. Vor diesem Hintergrund plante die Regierung unter Bundeskanzler Adenauer - trotz der erst wenige Jahre zurückliegenden Verbrechen der Wehrmacht - schon 1950 den Aufbau einer westdeutschen Armee. Gegen dieses Vorhaben gab es in der Bevölkerung große Proteste.

Die Regierung Adenauer reagierte schnell. Das Strafrecht wurde durch die "Blitzgesetze“ geändert. Alle Bürgerinnen und Bürger, die gegen die Wiederbewaffnung oder z. B. für die Wiedervereinigung waren, konnten nun als Staatsfeinde verfolgt werden.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und andere oppositionelle Organisationen wurden verboten. Etwa 10.000 Menschen wurden zu teils langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Oftmals wurde ihre Existenz zerstört.
Über dieses Kapitel deutscher Geschichte wurde bislang weitgehend der Mantel des Schweigens ausgebreitet.

"Verboten-Verfolgt-Vergessen“ erzählt die Geschichte dieser Menschen. (PK)
Laufzeit: ca. 57 Minuten, DVD, 16:9, D 2012
Regie: Daniel Burkholz
Creative Producer: Sybille Fezer
Interviews: Daniel Burkholz, Sybille Fezer
Kamera: Ruzbeh Sadeghi
Schnitt und Postproduktion: Gunnar Walther
Produktion: Roadside Dokumentarfilm
Copyright: Roadside Dokumentarfilm / Daniel Burkholz
Fotos - Proteste gegen die Wiederbewaffnung, KPD-Verbot, FDJ-Verbot, Autoren: Toni Tripp, Archiv Ruhr Museum Essen und Manfred Tripp, Archiv Hamburger Institut für Sozialforschung

Erste Vorführungen des Films:

Premiere: Freitag, dem 19. Oktober, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im Central Kino, Rosenthalerstr. 34, in Berlin.
 
Am Donnerstag, dem 8. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im Kino Pelmke, in Hagen.
Am Sonntag, dem 11. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im "Kult 41", in Bonn.
Am Donnerstag, dem 15. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im "Trotz Allem", in Witten.
Am Montag, dem 19. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im Wichernhaus, in Dortmund.