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Freitag, 15. Februar 2013

Ein unrühmliches Kapitel



Opfer der politischen Justiz in der BRD warten weiter auf Rehabilitierung. Erinnerung an ein Treffen vor zehn Jahren mit dem niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer


Von Hans Daniel in jungeWelt 16.02.2013

Demonstration in Mannheim gegen das KPD-Verbot (17. August 1968)
Demonstration in Mannheim gegen das KPD-Verbot (17. August 1968)
Günter Bennhardt aus Lünen, in der Adenauer-Ära wegen »Geheimbündelei« und »Staatsgefährdung« 20 Monate inhaftiert, schrieb nach einem Besuch der Gedenkstätte im Dresdener Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit ins ausliegende Gästebuch, daß zur »andere(n) Seite der Erkenntnis durch Erinnerung« auch das gehöre, »was in den Jahren des Kalten Krieges an politischem Unrecht geschehen ist«. Gemeint sind damit Vorgänge in der Bundesrepublik.

Diese »Seite der Erkenntnis« soll nun endlich durch die Schaffung einer Gedenkstätte für Opfer der politischen Justiz ins öffentliche Gedächtnis gerückt werden. Der Bundesausschuß der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die Landesverbände der Verfolgtenorganisation Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, die im vergangenen Jahr gegründete Gruppe »Kinder des Widerstandes« und Peter Dürrbeck, dessen Mutter Opfer der politischen Nachkriegsjustiz war, haben sich für einen entsprechenden Vorschlag ausgesprochen. »Wegen der Vergangenheit des Gefängnisses in Wolfenbüttel böte es sich als Standort an. Allerdings böten sich auch andere Standorte an«, heißt es in einer Erklärung, aber »sie sollten sich schon in Niedersachsen befinden«.

Dafür sprechen viele Gründe, schreibt Oberlandesgerichtsrat a.D. Helmut Kramer in einem Brief an Bennhardt. Nicht zuletzt die Tatsache, daß die Justiz dieses Bundeslandes besonders eifrig war. Weitere Gründe, in diese Gedenkstätte auch die Erinnerung an die Opfer des Kalten Krieges einzubeziehen: »Zum einen haben viele junge Kommunisten Haftstrafen, die gegen sie überwiegend wegen bloßer Meinungsäußerungen verhängt worden sind, in Wolfenbüttel verbüßt. Zum anderen ergibt sich eine direkte Verbindungslinie zur NS-Justiz daraus, daß es ehemalige NS-Richter, oftmals sehr konkret durch Unrechtsurteile schwer belastet, waren, die sie verurteilt haben.« (Siehe unten und Spalte)

Dieses Problem muß thematisiert werden. Das hat ein – wegen der Einmaligkeit in der bundesdeutschen Geschichte der Erinnerung wertes – Treffen deutlich gemacht, das vor zehn Jahren, am 13. Februar 2003, im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung stattfand. Der Ort der Begegnung war ebenso ungewöhnlich wie die Gäste, die der damals amtierende Justizminister des Landes, Christian Pfeiffer, eingeladen hatte. Es waren Mitglieder der »Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges«, Frauen und Männer also, die in den Hochzeiten von 1951 bis 1968 wegen Verstoßes gegen das FDJ- bzw. KPD-Verbot, wegen antimilitaristischer Aktivitäten verfolgt worden waren.

»Die Vergangenheit läßt uns nicht los«, lautete der erste Satz der Begrüßungsrede des Ministers. Einige Sätze später war deutlich, daß sich diese Worte nicht allein auf die Jahre der faschistischen Diktatur beziehen sollten. Fast 60 Jahre nach der Befreiung beginne die Gesellschaft »ihre Geschichte als die eines doppelten Versagens zu begreifen«. Und damit war er bei dem Thema, das er am Ende seiner Rede »ein unrühmliches Kapitel deutscher Justizgeschichte« nannte: »die Zeit eines teilweise geradezu paranoiden Antikommunismus.« Damals brauchte der erste Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer (CDU), um die »westdeutsche Bevölkerung nur fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation zur Wiederaufrüstung bewegen zu können (…) allerdings ein Feindbild: die Sowjetunion und die Kommunisten«, so Pfeiffer.

Widerspruch, Widerstand dagegen grenzten damals an Hochverrat und Staatsgefährdung, waren »landesverräterische Beziehungen«, stellten in jedem Fall ein Vergehen dar gegen die proklamierte »freiheitliche demokratische Grundordnung« und wurden damit ein Fall für die Wächter über die »wehrhafte Demokratie«. Das rief den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst (MAD), den Bundesnachrichtendienst (BND) und die 17 politischen Sonderstrafkammern auf den Plan, die mit umfassenden Ermittlungsverfahren, in nicht wenigen Fällen mit den Erfahrungen aus den Jahren 1933 bis 1945, ans Werk gingen. Die Zahlen sind bekannt: 125000 Ermittlungsverfahren, in die an die 500000 Bürger einbezogen waren und rund 10000 Verurteilungen zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen, von den diskriminierenden, zum Teil existenzvernichtenden Folgeauflagen ist hier keine Rede.

Im offiziellen Gedächtnis ist dieses Kapitel nicht existent. Wenn die Bundestagsfraktion der Linkspartei sich seit Jahren immer wieder im Parlament darum bemüht, daß das in der BRD geschehene Unrecht eingestanden wird, die in der BRD von der politischen Justiz Verurteilten rehabilitiert werden, sind sich die Regierungsparteien einig: Das war alles »rechtsstaatlich«. Zudem ist kommunistischer Widerstand gegen den Faschismus, auch darin stimmen diese Parteien überein, nicht der Ehrung wert. Das Abschmettern eines entsprechenden Antrags der Linksfraktion im vergangenen November hat dies erneut manifestiert. Vom Unrechtscharakter, so hörten wir es eben wieder von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe im Zusammenhang mit den neuen Schmähungen gegen Gregor Gysi, darf nur in bezug auf die DDR gesprochen werden