VVN-BdA Lüneburg legt neue Schrift vor:
In einer neuen Veröffentlichung in ihrer Schriftenreihe widmet sich die Lüneburger VVN-BdA der Strafrechtspraxis der 4. Strafkammer des Lüneburger Landgerichts während der 1950er und 60er-Jahre. Hier strengte die Lüneburger Staatsanwaltschaft mehrere tausend politische Strafverfahren gegen (häufig vermeintliche) Mitglieder und Unterstützer der KPD an, unter ihnen viele Nazi-Verfolgte.
Das
Lüneburger Gericht verurteilte mehrere hundert Angeklagte zu nicht
selten hohen Haftstrafen: Eine unvollständige Übersicht belegt für
142 Personen Haftstrafen von insgesamt 1.557 Monaten Gefängnis.
Juristisch
begründet wurde der Kampf gegen den politischen Kern der damaligen
Widerstandsbewegung gegen die Restaurationspolitik der
Bundesregierung mit dem Strafrechtsänderungsgesetz („Blitzgesetz“)
und dem FDJ- und dem KPD-Verbot, „eine Waffe, die geschmiedet
wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen“(Bundestags-Abgeordneter
Horst Haasler).
Unter
den in Lüneburg Verurteilten der damals 24-jährige Journalist
Walter Timpe. Er hatte es gewagt, öffentlich gegen die
Wiederaufrüstung Stellung zu beziehen, über die Nazivergangenheit
einiger Bundesminister zu berichten und das Verbot der
kommunistischen Jugendorganisation FDJ zu kritisieren. Dafür wurde
er 1955 von Lüneburgs 4. Strafkammer des Landgerichts mit einem Jahr
Gefängnis bestraft. Sein Ankläger war Staatsanwalt Karl-Heinz
Ottersbach, der zuvor als Staatsanwalt beim Sondergericht Kattowitz
gegen jüdische und polnische Angeklagte gewütet hatte.
In dem
jetzt vorgelegten ersten Teil zu diesem Themenkomplex mit dem Titel
„Nichts verlernt – Die zweite Karriere ehemaliger NS-Richter und
Staatsanwälte bei der 4. Strafkammer des Lüneburger Landgerichts“
widmet sich die VVN-BdA ausschließlich dem prozessbeteiligten
Justizpersonal. Die Autoren untersuchen dabei im Einzelnen das
Nazi-Vorleben dieser Richter und Staatsanwälte als NSDAP-Mitglieder
und –Funktionäre und als „NS-Täter mit dem Dolch unter der
Robe“, sowie ihre relativ problemlose Wiedereinstellung in den
Justizdienst.
Als
„bewährte Justizbeamte“ mit ihren Erfahrungen u.a. an Kriegs-
und Sondergerichten waren sie für die politischen Prozesse gegen den
alten und neuen „bolschewistischen Feind“ prädestiniert und
erfüllten ihre Aufgabe zur Zufriedenheit des Justizministeriums,
eine Behörde, deren NS-Personalstruktur in einem gesonderten Kapitel
vorgestellt wird.
Die
funktionierende Kameraderie des Justizpersonals vom Landgericht bis
zum Ministerium wird besonders deutlich, wo es galt, die amtierenden
Richter und Staatsanwälte vor öffentlicher Kritik wegen ihrer
Nazi-Taten abzuschirmen. Belastende Dokumente wurden als
unglaubwürdig abgetan, überwiegend begründet mit ihrer Herkunft
von den DDR(„SBZ“)-Behörden. Den Tatvorwürfen gegen das
Justizpersonal wurde nicht ernsthaft nachgegangen, sondern im
Gegenteil gegen die Kritiker Anzeigen erstattet mit dem Hinweis auf
deren mögliche kommunistische Einstellung. Kam die Lüneburger
Justizbehörde wegen des öffentlichen Drucks nicht darum herum,
Verfahren gegen Bedienstete ihrer 4. Strafkammer aufzunehmen, so
wurden sie allesamt niedergeschlagen unter Zuhilfenahme zahlreicher
Verfahrenstricks der verschiedenen Behördenleiter bis hinauf zum
Justizministerium. Dabei praktizierten die Behörden eine Art
Selbstschutz: Würde auch nur in einem Fall ein Richter oder
Staatsanwalt Lüneburgs 4. Strafkammer verurteilt wegen seiner
NS-Mordtaten, so wäre das gesamte System der Immunisierung dieses
Personenkreises vor strafrechtlicher Verfolgung zusammengebrochen.
Die Justiz selber säße auf der Anklagebank. In diesem Sinne
kämpften Lüneburgs Richter und Staatsanwälte auch um den Bestand
ihrer eigenen Karriere, indem sie ihre schärfsten Kritiker zum
Schweigen brachten.
Soviel
ist im historischen Rückblick sicher: Unter
demokratisch-rechtstaatlichen Gesichtspunkten hätte keiner der
benannten Richter und Staatsanwälte nach 1945 wieder in seinem alten
Beruf tätig werden können - schon gar nicht in politischen
Verfahren. In zwei oder drei Einzelfällen bestenfalls vorübergehend
als Verkehrsrichter.
Als
Konsequenz ihrer Untersuchung verweisen die Autoren auf die
gegenwärtige Politik: „Wir erhoffen uns mit der Vorlage dieser
Schrift eine rege Diskussion. Insbesondere soll sie zu einer
Neubewertung der Verfahren und Urteile beitragen, die die
beschriebenen Richter und Staatsanwälte zu verantworten haben. Denn
mit den Ansprüchen einer demokratischen Justiz sind sie unvereinbar.
Das wirft zwingend die Frage nach rückwirkenden Konsequenzen für
Justiztäter und –opfer auf! Zumindest im Sinne der Angeklagten und
Verurteilten müssen die damaligen Verfahren überprüft und muss
eine mögliche Rehabilitierung der Opfer angestrebt werden.“
Die
Schrift ist für 3,00 Euro zu erhalten im „Laden & Cafe Avenir“
im Heinrich-Böll-Haus, Katzenstraße Lüneburg, oder für 5,00 Euro
zu bestellen unter vvn-bda-lg@web.de
(einschl. Versandkosten).
P.
Asmussen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen